Mir war so als hätte ich bereits erwähnt, dass ich die neuen Schüler aus den frisch eingetroffenen siebten Klassen nicht mag. Zu allem Überfluss hatte ich dazu in den beiden vergangenen Tagen noch das außergewöhnliche Vergnügen die Neuen noch auswärtig begleiten zu dürfen. Das nannte sich dann dort Potentialanalyse. Es ging wohl so um Teamarbeit, also einander Helfen, miteinander Reden und sich gegenseitig Zuhören oder so anderen völlig überflüssigen Kram, der, wenn ich so recht darüber nachdenke, meinem Kollegium auch ganz gut täte, glaube ich. Für wahr, ein gar lustiges Bild, wenn ich mir das vor meinem inneren Auge visualisiere. Schon mein beiläufiger Vorschlag mit den Kollegen mal über einen Niedrigseilgarten zu balancieren, versetzte Frau Neumann in Panik. "Nein, auf gar keinen Fall, denn da muss man sich ja gegenseitig helfen und dann müsste ich ja vielleicht sogar noch den Thompsen anfassen. Ih, das geht gar nicht"
Aber ich komme vom Thema ab, denn eigentlich wollte ich von zwei Jungs erzählen. Der Erste heißt Axel und ist auf den ersten Blick ein kleines, vorlautes A...loch, das einem gepflegt auf die Nerven gehen kann. Auf den zweiten Blick ist er immer noch schrecklich anstrengend, weil er sich dazu noch für den Allercoolsten hält und sich insgesamt äußerst ungern mit Kritik auseinandersetzt. Na und Regeln sind sowieso Scheiße. Aber auf den dritten Blick sprang direkt mein Helfersyndrom an. Oje, der arme Junge fühlt sich sicher ganz einsam und das ist bestimmt ein Schrei nach Liebe. Als er sich bei einem diesen Spielchen total frustriert und wütend aus der Gruppe zurückzog, ging ich hinter ihm her. Leichtsinnigerweise glaubte ich ihn mit ein paar netten Worten wieder zum Mitmachen zu motivieren. Aber, Pustekuchen! Der Junge war stinkesauer, aber mal zuerst auf seinen Vater, der sich nicht kümmert, keinen Unterhalt zahlt und mal überhaupt ein ausgewachsenes Riesenarschloch sei. Ich nahm mir die Zeit und versuchte sein Vertrauen zu gewinnen, denn auf einmal nervte er nicht. Er tat mir leid. Und es funktionierte er kam zur Gruppe zurück und beteiligte sich. Auch, wenn er jetzt vielleicht denkt: "Schon wieder so 'n Weib mit ihrem Psychogequatsche..."
Und dann war noch da noch der kleine, blonde, blauäugige Jonas, der mich schon gestern mit leuchtenden Augen und süßem Knuffi-Lächeln darum bat, mich im Bus neben ihn zu setzen. "Bitte, bitte Frau Dingens, ich hab doch extra nur für Sie diesen Platz hier freigehalten!" Ich traute meinen Ohren kaum. Dann tat ich dem Jungen den Gefallen und ich setzte mich neben ihn. Heute erklärte er dann den Leitern dieser sogenannten Potentialanalyse, dass er Frau Dingens heiraten würde. Als ich dann entgegnete, dass ich doch seine Mutter sein könne, schüttelte er nur den Kopf. Das sei doch egal. Dann fragte ich noch, warum er mich denn heiraten wolle. "Sie sind schön!", antwortete er. Nur diese drei Worte und ich war für einen Moment wirklich sprachlos. Ich schaute ihn verlegen an und flüsterte: "Da werd ich doch gleich rot." - "Sie sind schon rot.", lachte Jonas.
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