Montag, 12. November 2018

Eine Jacke und Stifte

Lisa ist sonst immer zuverlässig und pünktlich zum Stundenbeginn an ihrem Platz. Das war sie heute auch. Doch noch bevor ich die Zehntklässer begrüßen konnte, riss sie die Augen auf. Ihr linker Arm schnellte nach oben. Noch ehe ich ihren Namen sagen konnte und fragen konnte, was sie wolle, rief sie mir zu: "Frau Dingens, entschuldigen Sie bitte, aber ich muss noch meine Jacke holen." 

Höflich war sie ja. 

Ich war irritiert. Stirnrunzelnd gab ich zu verstehen, dass ich nicht verstand, wozu sie im Unterricht ihre Jacke brauchte. Lisa verstand mich mittlerweile ohne Worte. So erklärte sie mir, dass ihre Stifte in ihrer Jacke seien und diese brauche sie schließlich im Unterricht. Richtig. Ich nickte langsam, ganz langsam. "O-k-a-y", stotterte ich. Lisa verschwand.
Ich atmete tief durch. "Früher" begann ich und das obwohl ich diesen Satzanfang im Grunde furchtbar finde. Aber ich koketiere hin und wieder gern damit, da ich auf diese Weise eine ganz eigene Aufmerksamkeit bekomme. Schüler mögen persönliche Anekdoten. Außerdem funktioniert dieses "früher" auch als "fishing for compliments", weil Frau Dingens ja noch gar nicht so alt ist. 
Also ich erhob meine Stimme: "Früher, als ich noch zur Schule ging," und fügte mit einem Augenzwinkern hinzu "so etwa vor hundert Jahren. Da hatte ich eine Schultasche, in welcher unter anderem eine Federmappe war und in dieser Federmappe waren Stifte." Mittlerweile war Lisa wieder da und grinste. "Ich hab halt meine Stifte in der Jacke..."

Freitag, 3. August 2018

Altenburg

Wer eine Reise macht, der kann was erzählen. Dieses alte Sprichwort bewahrheitete sich heute bei mir mal wieder. Ich bin mit der Deutschen Bahn unterwegs. Beim Gleiswechsel durch eine Unterführung fällt mir ein braungebranntes Pärchen auf. Beide berucksackt. Er bewegt sich schnellen Schrittes, sein Oberkörper nach vorn gebeugt. Vielleicht ist er mit dieser Körperhaltung schneller oder sein Rucksack ist so schwer. Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall habe ich den Eindruck, dass sie nicht genau weiß, wo sie hin müssen. Sie schaut sich unsicher um.

Montag, 18. Juni 2018

Fehlende Konzentration

Eine Zehntklässlerin hatte heute einen Termin zur Nachprüfung. Es ging bei ihr um einen besseren Schulabschluss. Das heißt also, wenn sie sich mit dieser Prüfung in einem Fach verbessert, dann wird ihr Abschluss besser. Die Prüfung sollte im Fach Kunst stattfinden. Der Kunstlehrer war sehr gut vorbereitet und selten so aufgeregt wie heute, denn es wäre seine Premiere gewesen. 

Am Dienstag hat Herr Kunst ihr alles Wichtige erklärt. Nach dieser Besprechung scharwenzelte die junge Dame noch durch das Schulhaus. Es war eine Überraschung für so manche Schüler ihr zu begegnen, da die Zähntklässler derzeit im Praktikum sind und sich somit nicht im Schulhaus aufhalten. So waren die anderen Schüler verwundert über ihre Anwesenheit. Einige Schüler scharten sich um sie.

Dienstag, 23. Januar 2018

Ein Stift zum Stundenende

Der Unterricht in der Neunten neigt sich dem Ende zu. Es sind nur noch zwölf Minuten bis zur Pause, vielleicht waren es auch nur noch zehn. Ich bin mir nicht ganz sicher.
Ein junger Mann meldet sich, ach was sag ich, er winkt. Er ist sehr, sehr aufgeregt. Seine blauen Augen hat er weit aufgrissen. Sein Verhalten, das dem eines aufgescheuchten Huhnes gleicht, lässt mich darauf schließen, dass das, was er sagen möchte, wirklich mal so richtig wichtig ist.
Ich möchte ihn ja gerne aufrufen, aber ich bin nicht schnell genug. Nun, ich bin ja auch nicht mehr die Jüngste. Um seiner Meldung weiteren Nachdruck zu verleihen, ruft er zusätzlich meinen Namen: „Frau Dingens, Frau Dingens!!!“ (Und wenn ich drei Ausrufezeichen schreibe, dann meine ich das so.)
Ich frage ihn, was denn so kurz vor Unterrichtsschluss so wichtig sei. Er fragte in seinem zuckersüßeten Säuselton, ob er auf Toilette dürfe. "Es sind doch nur noch ein paar Minuten bis zur Pause", entgegnete ich ruhig. "Aber, aber... Frau Dingens, der Stift malt schon..."