So kurz vor Weihnachten drehen meine Jungs nochmal richtig auf und sprühen nur so vor Charme, sogar solche von denen ich es nicht erwartet hatte. Heut war das zum Beispiel René.
Die ganze Geschichte verlief also folgendermaßen: Zu Unterrichtsbeginn müssen unsere Schüler zur Begrüßung aufstehen. (Vermutlich hatte ich das auch irgendwann schon mal erwähnt.) Ich warte dann immer so lang bis alle Schüler still sind und das kann manchmal sehr sehr lange dauern. (Das hab ich dann vermutlich auch schon irgendwann mal erwähnt.) In den zehnten Klassen lässt sich diese Prozedur meist zügig durchziehen. Nur heut dauerte es ewig. Erst musste Karl noch ein Späßchen machen (unter dem Motto: "Schaun'se doch mal, Frau Dingens, das ist doch voll witzig), dann drehte sich Daniel nochmal um und Mäxchen musste sowieso nochmal stänkern. Ich verdrehte schon genervt die Augen. Normalerweise wirkt das in den Zehnten schon, denn die können meine Mimik schon ganz gut lesen und wissen genau, welche Laune ich damit ausdrücken möchte und vor allem welches Verhalten ich von ihnen dann erwarte.
Direkt vor mir in der ersten Reihe stand René und maulte irgendwas vor sich hin, was ich zum Anlass nahm mich mal grundsätzlich über die aktuelle Situation auszukotzen. Ich begann meinen kleinen Anschiss damit, dass ich vorgab, seine Maulerei durchaus verstehen können. Schließlich sei es ja auch schrecklich hart zu Unterrichtsbeginn mal eben für ein paar Sekunden ruhig dazustehen. Bei diesem ganzen Prozedere würde ich mich schließlich auch immer ganz mies fühlen, weil ich es im Grunde gar nicht gut ertragen könne, dass so junge Leute so lang stehen müssten.
Mir war schon klar, dass nur die wenigsten Schüler diese Ironie verstehen und ob sie René verstanden hat, vermag ich nicht zu sagen, aber er antwortete mir mit fragendem Blick und den Worten: "Und warum stehen Sie dann noch?" So recht verstand ich erst gar nicht, was er mir sagen wollte. Aber nachdem seine Worte einige sehr lange Sekunden durch mein Gehirn zirkulierten, wurde mir klar, dass das vermutlich ein Kompliment sein sollte. Stefan, der nur einen Tisch hinter René stand, riss die Augen auf, hob die Hand und zeigte nahezu schon fassungslos auf René. Dann schnappte er kurz nach Luft und prustete: "Frau Dingens, haben Sie gemerkt, René hat Ihnen grad ein Kompliment gemacht!" Ich nickte ein wenig verstohlen, strahlte dann aber über das ganze Gesicht. "Ja, ich hab es gemerkt!" Ich lächelte René an. "Und ich bin beeindruckt, denn damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet." René lächelte zurück. Ich glaube, er war ein wenig verlegen...
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