Mittwoch, 28. November 2012

Anketten

Billy ist uns aus der letzten Zehnten erhalten geblieben. Seine Begründung war, dass er gern sein schlechtes Abschlusszeugnis verbessern möchte. Meine Erklärung ist, dass er zu faul ist, wirklich zu arbeiten und noch ein Jahr bei uns Chillen möchten. Dabei lehnt er sich jetzt zunehmend zurück und arbeitet nun nicht nur an diesen komischen neumodischen und viel zu großen Ohrlöchern, auch Tunnel genannt, sondern auch daran unser Maskottchen zu werden. Doch anstatt sich ins Zeug zu legen und tatsächlich seine Noten fürs Zeugnis etwas aufzuhübschen, spielt er den Clown. Naja, im Grunde ist er ja schon auch ein Clown, aber dann soll er doch bitte in den Zirkus damit gehen und uns nicht damit behelligen. Oder als Comidian ins Fernsehen. Aber vielleicht muss er auch noch ein bisschen bei uns üben, damit er noch besser wird, denn mit seinem Programm wird er wohl momentan kein Geld verdienen.
Sein heutiger Showact sah so aus, dass er sich mit seinem Fahrradschloss am Stuhl festkettete, indem er die Kette erst durch die Gürtelschlaufe seiner Jeans zog und dann um die Metallstange, an der die Lehne befestigt ist. Zunächst musste er das natürlich der ganzen Klasse mitteilen, dass er sich am Stuhl festgekettet hat. Erst lachte er noch laut, zumal er mal wieder im Mittelpunkt stand und den Unterricht aufhielt. Doch dann begann er hektisch nach dem Schlüssel zu graben. Ganz langsam bekam er dazu auch noch Schnappatmung: "Scheiße, scheiße, ich hab den Schlüssel vergessen." Ich hielt die ganze Aktion für einen seiner typischen lauen Scherze, also bat ich ihn spontan doch mal runter ins Sekretariat zu gehen um Kreide zu holen. Billy ist sehr hilfsbereit. Er sprang sofort auf, drehte dann den Stuhl elegant so, dass er ihn tragen konnte: "Natürlich, aber sehr gerne doch, Frau Dingens!"
An dieser Stelle musste ich feststellen, dass es  also doch kein Scherz war. Billy hatte tatsächlich keinen Schlüssel zur Hand. Während Billy noch mit dem Stuhl kämpfte, der an seiner Hose hing, schickte ich Reiner zum Kreide holen. Billy war wirklich zu bemitleiden, denn er wirkte wirklich verzweifelt. Als Jan dann auch noch den Vorschlag machte, einfach die Gürtelschlaufe zu zerschneiden, fing Billy fast an zu weinen. "Nein, nein, das geht auf gar keinen Fall, denn die Hose war wirklich teuer. Oh, scheiße, scheiße..." Nach wenigen Minuten trat Reiner mit der Kreide ins Zimmer. Plötzlich schaute mich Billy mit großen Augen und völlig enttäuscht an. Dann erkundigte er sich mit ernster Stimme bei mir, warum er denn keine Kreide holen durfte. Jan lachte, schüttelte den Kopf und informierte Billy trocken: "Weil du einen Stuhl an der Hose hängen hast!" - "Oh ja, stimmt." entgegnete Billy überrascht.
Nicht nur die Klasse, sondern auch ich hatten uns langsam von der Aufregung wieder beruhigt und ich hoffte nun mit meinem Unterricht fortfahren zu können. Gedankenversunken kramte Billy nochmal in seiner Hosentaschen und fluchte nur noch leis vor sich hin. Plötzlich sprang er auf und jubelte er laut, denn er hatte dann doch den richtigen Schlüsselbund mit dem richtigen Schlüssel in der Hand und konnte den Stuhl endlich befreien.

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