Donnerstag, 5. Januar 2012

Begrüßungsrituale

Heut hab ich auch mal wieder sehr viel gelernt, denn es ist außerordentlich interessant wie sich die Schülerinnen und Schüler untereinander begrüßen. Landläufig müsste man ja meinen ein einfaches "Hallo" würde ausreichen, aber weit gefehlt, denn hier gibt es zahllose Unterschiede. Ich glaube ja sogar, dass bei den Begrüßungsritualen nicht nur die jeweilige Tagesform, sondern auch die Hackordnung unter den Schülern deutlich wird.
Es begann schon am frühen Morgen am Bus. Ein kleines Grüppchen meiner Schüler stand da schon so rum. Meist geh ich so halb an ihnen vorbei, dreh ich mich kurz zu ihnen und, sag eben "moin" und tu so als würd ich mit denen sonst soweit nix zu tun haben. Schließlich bin ich noch nicht im Dienst. Bis dann doch plötzlich einer was von mir wissen will und je nach Laune und je nach Schüler geb ich eine Antwort und murmle noch so fast im Halbschlaf mit einem zugegebenermaßen kleinen, fiesen Grinsen im Gesicht "Nö, bin noch nicht im Dienst!" Worauf mir der Schüler antwortet, dass er ja eigentlich auch noch nicht im Dienst sei. "Und genau deshalb kann ich dir jetzt auch nicht dein Telefon wegnehmen und das Kaugummikauen verbieten...", entgegnete ich.
Aber halt, ich schweife ab, denn ich wollte ja über die unterschiedlichen Art und Weisen der Begrüßung berichten. Martin und John sind eigentlich gute Freunde, so dachte ich bis heut immer, aber nach der heutigen Begrüßung glaube ich, dass bei denen dicke Luft ist. In besagtem Grüppchen stand schon Martin und John kam hinzu. Die Jungs wurden alle zünftig mit Handschlag begrüßt und die Mädels mit einer angetäuschten und ein wenig halbherzig anmutenden Umarmung. Dann wollte John auch Martin die Hand geben, doch Martin verweigerte. John zuckte die Schultern und zog ab. Einige Minuten später tauchte ein mit etwas zu viel Wasserstoffperoxid gefärbter Blondschopf namens Linda auf. Sie drückte, knuddelte und herze alle. Am Ende dieses Gruppenkuschelns legte sie den rechten Arm über meine Schulter, wobei ich den linken Arm leicht hob und ihn kurz unterhalb ihres Schulterblattes ablegte. Ganz wichtig ist bei dieser Art von Umarmung den Gegenüber nicht wirklich herzig zu drücken, denn diese würde ein Zuviel an körperlicher Nähe bedeuten und das ist von beiden Seiten nicht unbedingt erwünscht.  Das nenne ich übrigens eine kurze, angetäuschte Umarmung, die allerdings in diesem Fall nicht unbedingt als herzlos zu bezeichnen ist.
Als an der nächsten Haltestelle weitere Schüler einstiegen, wurde es erst richtig spannend, was die Hackordnung bei der Begrüßung angeht. Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen. Sophie stieg ein und das was jetzt kam, glich einer bis in kleinste Detail durchinszenierten Choreographie, was doch eigentlich "nur" Begrüßung war. Sie drehte sich nach rechts und links, um all ihre Freunde mit einem kleinen Küsschen auf die Wange zu begrüßen. So weit, so üblich. Doch dann erreichte sie den hinteren Teil des Busses, wo ihre Klassenkameraden und offensichtlich besten Freunde saßen. Die ersten beiden Jungs bekamen nur ein Küßchen auf die Wange. Dann war Linda dran und die bekam sogar schon Küsschen links und Küsschen rechts. Andreas wurde schon mit einer gewagten Dreierkombination (Küsschen links-rechts-links) begrüßt. Nachdem die beiden sich angemessen angestrahlt hatten, wurde Lisa begrüßt. Sie erhielt nach der einfachen Rechts-Links-Kombination noch einen Kuss auf den Mund. Abschließend wurde noch die hinterste Reihe gedrückt und geherzt. Das Highlight war dann die Begrüßung von Leander, der schlicht direkt einen Kuss auf den Mund gedrückt bekam. Nun war Sophie endlich, so hoffte ich, mit allen Begrüßungen soweit durch. 
Doch ich hatte mich geirrt. Nach der Such nach einem freien Platz landete sie neben mir und gab mir dann mit ihrem typischen Sonnenscheinstrahlelächeln die Hand und wünschte mir einen "Guten Morgen". Ich strahlte zurück und sagte natürlich auch ganz brav "Guten Morgen". Schließlich sind so außerordentlich freundliche und höfliche Schüler selten. Wir setzten unsere Kopfhörer auf und fürs erste war der Begrüßungsmarathon zumindest für Sophie erledigt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen